SAATGUT - GESCHICHTEN, SYMBOLIK UND PROTEST

Als die Menschen vor ca. 10.000 Jahren begannen Ackerbau zu betreiben, bekam das Saatgut eine zentrale Bedeutung. Kein anderes Kulturgut hat für uns seitdem einen ähnlich hohen Nutzwert und eine ebenso starke Symbolkraft. Wir erhalten es aus der Vergangenheit, leben davon in der Gegenwart und bewahren es für die Zukunft.

 

Doch die Vielfalt unseres Saatguts ist akut bedroht, weil sie zugunsten ökonomischer Interessen geopfert wird. Historische Sorten verschwinden und mit ihnen auch das Wissen um ihre Herkunft und Geschichte. Dabei spiegelt gerade die Geschichte vieler alter Sorten oft das Versagen unserer modernen Kultur und Wirtschaftsweise wider. Zum Beispiel zugunsten der Gentechnik verdrängte uralte Maissorten, Tomaten verschwundener indigener Stämme oder eine Vielzahl regionaler Gemüsesorten, die infolge eines Saatgutgesetzes sterben mussten, das von Rassenideologen in der Nazizeit erschaffen wurde und bis heute gültig ist.

HISTORISCHE SORTEN

mit interessanter Geschichte und regionaler Herkunft sind den meisten Hobbygärtnern heute kaum noch bekannt, dabei hatten sich diese alten Kulturpflanzen optimal an regionale Boden- und Klimaverhältnisse angepasst. Über die Jahrhunderte entstand auf diese Weise eine riesige Sortenvielfalt mit verschiedensten Eigenschaften in Aussehen, Geschmack oder Nutzung.

 

Rote Beete "Tondo di Chioggia"
Rote Beete "Tondo di Chioggia"

Im Handel erhältliche Gemüsesorten stammen hingegen aus einem sehr begrenzten Sortiment, sind zunehmend durch Patente geschützt und lassen sich größtenteils nicht weitervermehren. Züchtungskriterien dieser modernen Industriesorten sind Transportfähigkeit, Gleichförmigkeit oder Ertragsmenge. Sie besitzen weder Geschichte noch regionale Herkunft und dienen lediglich dem Profit immer größer werdender Konzerne.

 

ROTER HEINZ, HILDESHEIMER STANGENBOHNE UND BERLINER AAL

sind alte Gemüsesorten, die über viele Generationen kultiviert wurden. Sie gehören zu den letzten erhalten gebliebenen, historischen Regionalsorten in Deutschland.

 

Sortenzüchtung, die traditionell in kleinbäuerlichen Strukturen betrieben wurde, befindet sich heute nahezu vollständig in der Hand weniger, global agierender Saatgutkonzerne. Diese Entwicklung hat zu einem Aussterben von über 80% sämtlicher Kulturpflanzen in den vergangenen hundert Jahren geführt.

 

Stangenbohne "Hildesheimer"
Stangenbohne "Hildesheimer"

 

Die Übernahme von Monsanto durch den Chemiekonzern Bayer führte 2018 zur Entstehung eines Agrargiganten, der den globalen Saatguthandel weitgehend kontrolliert. „Baysanto“ wird künftig die Grundlagen unserer Ernährung durch Preisdiktate, Patente sowie dem Vorantreiben von Agrochemie und Gentechnik beherrschen - ungeachtet der fatalen Folgen, angesichts Klimawandel, sterbender Ökosysteme und schwindender Biodiversität.

BIOLOGISCHE VIELFALT

Während sich die Umweltdebatte zunehmend auf den Klimawandel konzentriert, geraten andere Themen immer mehr in den Hintergrund. Für die Überlebensfähigkeit kommender Generationen sind diese Probleme jedoch nicht weniger wichtig und erfordern globale aber auch regionale Lösungen.

 

Ein ganz massives Problem stellt insbesondere die abnehmende Biodiversität dar. Während in der Politik seit Jahrzehnten weltweite Abkommen zur Förderung der biologischen Vielfalt unterzeichnet werden, ist in der Praxis das Gegenteil zu beobachten. Politische, globale Vereinbarungen scheinen ihre Wirkung zu verfehlen, solange an überkommenen Denkweisen und Strukturen festgehalten wird.

 

Zuckermais "Glass Gem Corn"
Zuckermais "Glass Gem Corn"

Anstatt sich allein auf die Politik zu verlassen, ist deshalb mehr regionale Initiative erforderlich. Vor dem Hintergrund einer fragwürdigen Wachstumsideologie in der Industrie- und Kapitalwirtschaft bei begrenzten Ressourcen, wäre unbegrenztes Wachstum der biologischen Vielfalt sicher ein nachhaltigeres Paradigma.

 

DAS GROSSE FREIE

ist ein im Mittelalter entstandenes kleines Siedlungsgebiet in Norddeutschland. Die dort lebenden Menschen hatten außergewöhnliche Freiheitsrechte. Sie waren keinem Grundherrn verpflichtet, durften frei über ihr Land verfügen, freien Handel betreiben und frei ihr Gewerbe ausüben. Über viele Jahrhunderte hinweg lebten sie weitgehend autark im Einklang mit der Natur, waren zueinander solidarisch und verteidigten ihr Recht auf ein freies, selbstbestimmtes und gutes Leben hartnäckig und erfolgreich.

 

Im Zeitalter der Industrialisierung, des technischen Fortschritts und der Kapitalherrschaft begannen diese Freiheiten an Bedeutung zu verlieren und gerieten bald in Vergessenheit. Neue Abhängigkeiten und Zwänge entstanden, denen sich heute kaum noch jemand zu entziehen vermag: Geld, Konsum, Fremdversorgung, Konzernmächte, globaler Markt, Wachstumszwang, Saatgutmonopole, usw. ...