Verlust der Kulturpflanzenvielfalt

 

Verlust der Vielfalt – Bedeutung der Agrobiodiversität

 

Die Biodiversität ist heute nicht nur in Wildflora und ‐fauna gefährdet, sondern immer mehr auch bei der für unsere Ernährung direkt nutzbaren Vielfalt der landwirtschaftlichen Nutzformen. Durch die heute betriebene Hochzucht der Nutztiere und Kulturpflanzen hat die Vielfalt der Rassen und Sorten gelitten. Was den neuen Normen – beim Rind z.B. mehr Fleisch und Milch, beim Schwein mehr Schinken als Speck – nicht gerecht wurde, verlor an züchterischem Wert, wurde fallengelassen und verschwand. Manche Rassen sind bereits ausgestorben, von anderen finden sich nur noch wenige Exemplare.

 

Heute werden die Sorten nach Kriterien gezüchtet und selektiert, wie der gleichzeitigen Abreife der Pflanzen, Haltbarkeit der Früchte bei langen Transporten oder Uniformität für den Großhandel. Der Geschmack bleibt dabei oft auf der Strecke. Auch wenn viele der alten Sorten nach heutigen Maßstäben unbefriedigende Erträge bringen, besitzen sie Qualitäten wie hohe Fruchtbarkeit, Robustheit und Resistenzen gegen Kälte und Krankheiten, die in einem anderen wirtschaftlichen Umfeld von Bedeutung sein können.

 

Die traditionellen Sorten wurden in generationenlanger Zuchtarbeit sowohl an die Bedürfnisse der Menschen als auch an die besonderen Bedingungen ihrer Umwelt angepasst. Sie sind nicht nur genetisch interessant, sondern stellen auch ein wertvolles und erhaltenswertes Kulturgut dar.

 

Der Verlust von Agrobiodiversität ist ein schleichendes Problem: Ställe, Weiden und Felder sind in den letzten Jahrzehnten immer monotoner geworden. Im Zuge der Modernisierung und Industrialisierung der Landwirtschaft im 20. Jahrhundert wurde der Fokus auf die Produktivität und Homogenität der modernen Sorten gelegt und die alten Landsorten verschwanden mehr und mehr.

 

In der industrialisierten Landwirtschaft ist der vor – und nachgelagerte Bereich der landwirtschaftlichen Produktion ökonomisch immer bedeutender geworden. Dies gilt auch für die Saatgutzüchtung, die von einer Gesetzgebung flankiert wird, welche die Ausbreitung der Hochleistungssorten fördert. Die staatlich definierten wertbestim-menden Eigenschaften sind nicht nur stark ertragsorientiert, sondern geben bestimmte eng gefasste Zuchtziele vor.

 

Saatzucht, Produktion und Handel wirken standardisierend

 

Die Zulassungs – und Sortenschutzkriterien der Homogenität und Beständigkeit fordern und fördern die Vereinheitlichung züchterischer Produkte. Die Diversität zu unterstützen war bislang kein gleichwertiges Ziel. Die meisten alten Sorten erfüllen die strenge Anforderung nach Homogenität nicht.

 

Einen Ausweg bietet die sogenannte Erhaltungssorten-Richtlinie, die aber nur den Handel von Kleinstmengen erlaubt und eine Anmeldung der nur lokal gehandelten Sorten lohnt oft nicht.

 

Auf dem Saatgutmarkt hat in den letzten 20 Jahren ein enormer Konzentrations-prozess stattgefunden. Weltweit beherrscht heute eine Handvoll von Firmen aus der Chemiebranche dieses Geschäft, deren Angebot auf eine industrialisierte, Chemie gestützte Landwirtschaft zugeschnitten ist.

 

 

Homogenisierung durch Handel und Industrie

 

Handel und industrielle Standards wirken homogenisierend auf pflanzliche Produkte, die „krummen Dinger“ traditioneller Sorten fallen häufig aus dem Raster. Das Spektrum genutzter Kulturpflanzen hat sich deshalb stark verkleinert und das vermehrbare Saatgut droht vom Markt zu verschwinden.

 

Wie sehr sich das Sortenspektrum eingeengt hat, zeigt das Beispiel des Weizens:

Gab es zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch rund 1.000 Weizensorten in Deutschland, die an Klima und Boden angepasst waren, sind es am Ende nur noch 30 Sorten.

 

Heutzutage angebauter Hochleistungsweizen benötigt viel Wasser. Wegen der schwereren Ähren war es notwendig kürzere Stengel zu züchten; die Bodennähe fördert jedoch Pilzbefall, was zusätzlichen Chemieeinsatz erforderte. Traditionelle Sorten sind besser an lokale Bedingungen angepasst als hochgezüchtete und auf Grund der natürlichen Resistenzen oft toleranter gegenüber Krankheiten und Schädlingen.

 

 

Sortenverlust durch Verbraucherverhalten

 

Ein weiterer Grund für die Einengung des Sortenspektrums liegt in den tiefgreifen-den sozialen Veränderungen unserer Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten. Unsere Koch- und Essgewohnheiten haben sich infolgedessen sehr gewandelt.

 

Mit Fastfood und Fertiggerichten hat die Nahrungsmittelindustrie darauf reagiert. Neben dem Handel bestimmt sie heute weitgehend die Anforderungen an die landwirtschaftlichen Produkte - oft auf Kosten der Geschmacksqualität und sehr wahrscheinlich auch auf Kosten von Vitalität und Gesundheit. Das Angebot bei Obst und Gemüse ist auf wenige Sorten reduziert. Der Verbraucher scheint nur noch drei Kartoffel-„Sorten" zu kennen: mehlig, vorwiegend fest und fest kochend.

 

Dass es weltweit über 2.000 verschiedene Kartoffelsorten mit unterschiedlichsten Eigenschaften gibt – in Deutschland sind immerhin 160 davon für den Anbau amtlich registriert – merken die Verbraucher beim Einkaufen im Supermarkt kaum.

 

Das gilt für die anderen Gemüsearten natürlich ebenso. Nur wenige Pflanzen- und Haustierarten bilden die Grundlage unserer Ernährung: Zwölf Pflanzenarten und fünf domestizierte Landtierarten stellen heute 70 Prozent der gesamten Nahrungsmittel-versorgung bereit.